Die Übersetzung eines Briefes an den Pfarrer von Ealing Abbey in London von Friedrich Griess, der dort im Herbst 1987 an einem Einführungskurs in den Neokatechumenalen Weg teilgenommen hatte:
Lieber Pater Michael !
Vielen Dank, daß Sie mir das Buch über den Weg des Neokatechumenates geborgt haben. In der kurzen Zeit konnte ich nicht alles lesen. Ich las die Anhänge A, B und C, und einige Abschnitte davor.
Ich schätze es sehr, daß diese Anhänge einige Information darüber geben, was der Weg des Neokatechumenates ist, oder was er sein sollte. Leider gab es eine solche Information nicht während der Einführungsabende, bei denen ich dabei war.
Ich glaube, daß der Weg des Neokatechumenates grundsätzlich eine gute Sache ist, wenn seine Vertreter sich wirklich an alle seine Grundsätze halten.
Als ich nach London kam, war es nicht meine Absicht, Kritik zu üben, sondern zu lernen. Die Vorsehung fügte es, daß ich eine Woche vor meiner Abreise nach London einen englischen Priester, Pater Michael Bailey, kennenlernte, und er mir über die Abtei Ealing erzählte. So glaube ich wirklich, daß mich Gott in Ihre Pfarre schickte und ich hier Leute kennenlernen sollte.
Aber einige Ereignisse während der Einführungsabende widersprachen so sehr dem, was ich unter Kirche verstand, daß ich mich verpflichtet fühlte, darüber zu sprechen. Ich glaube, daß die Katechisten einige Fehler begingen und sie, wenn sie diese vermieden, viel mehr für das Reich Gottes tun könnten.
Ich habe sie gern; sie sind sehr nette Leute, und ich möchte ihnen gerne helfen.
Es ist richtig, daß ich Ausländer bin und vielleicht die Gefühle von Einheimischen in Großbritannien nicht ganz verstehe. Aber ein Ausländer hat manchmal offenere Augen für das, was sich abspielt, als ein Einheimischer. Um sicher zu gehen, daß mein Eindruck nicht völlig falsch war, fragte ich einige andere Teilnehmer an den Einführungsabenden, und sie stimmten zumindest einigen meiner Punkte zu.
Nun zurück zu dem Buch. Ich las dort, daß die Basis des Neokatechumenalen Weges Wort - Liturgie - Gemeinschaft sind.
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Wort: der endgültige Anlaß, warum ich nicht mehr teilnahm, war, daß einer der Katechisten sagte ( Sie waren Zeuge ): "Was wir sagen, ist viel besser als das, was in der Bibel steht". Es ging darum, daß gesagt wurde, es sei überhaupt nichts, für seine Freunde zu sterben, während in der Bibel steht: "Niemand hat eine größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde".·
Liturgie: Ich schätzte sehr die wunderbare Art, wie in der Abtei Ealing Liturgie gefeiert wurde. Aber was sagten die Katechisten darüber: "Die Leute, die da alle zur Messe gehen ... das ist nichts, das ist nur eine Naturreligion".Im Buch stand auch, daß der Weg des Neokatechumenates nichts zerstören will. Und auch einer der Katechisten sagte, daß wir nicht urteilen dürften; das ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Aber wie oft wurde gesagt, daß alles außerhalb des Neokatechumenates NICHTS, NICHTS ist. Das ist sicher ein Weg den Zerstörung.
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Gemeinschaft: Ich hatte wirklich den Eindruck, daß die Katechisten die Gemeinschaft mit und unter den Zuhörern auf das Mindestmögliche beschränken wollten.Das Buch spricht an mehreren Stellen über "geistlichen Dialog". z.B. auf Seite 98. Das ist es, was ich suchte, als ich in die Abtei Ealing kam. Ich fand diesen geistlichen Dialog in der Bibelrunde bei den "Medical Sisters", in Gesprächen mit Leuten der Familiengruppen Unserer Lieben Frau, und auch in einer anderen Pfarre (Uxbridge), aber nicht bei den Katechisten. Dort fand ich nur Monolog, außer einigen sehr formalen Fragen, die an uns gestellt wurden.
Einen Satz im Buch mißbillige ich schwerstens (auf Seite 89). "Nicht durch Zufall endete mein Leben unter Pius XII. und ich erhielt es erst unter Ihrem Pontifikat wieder zurück; die drei Päpste dazwischen interessierten mich nicht." Ich will mich jeder weiteren Stellungnahme zu diesem Satz enthalten und hoffe, daß dies nicht die allgemeine Auffassung aller Mitglieder des Neokatechumenates ist.
Einen einzigen Grundsatz du Neokatechumenates möchte ich sehr in Frage stellen: den Grundsatz, daß jedes Mitglied durch einen Katechisten geführt werden muß. Die Gefahr ist viel zu groß, daß sich die Katechisten darauf etwas einbilden. In den Dokumenten des Zweiten Vatikanums steht sehr viel darüber, wie wichtig die menschliche Freiheit ist. Wir sollten uns eher gegenseitig führen.
Für meinen Geschmack ist das Buch als Ganzes zu sehr eine Verherrlichung, aber nicht die Verherrlichung Gottes, sondern des Neokatechumenates und seines Anführers, Kiko Arguello.
Nun einige weitere Kommentare zu den Einführungsabenden:
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Das Neokatechumenat ist nicht DIE Antwort auf das Zweite Vatikanum, wie sich einer der Katechisten ausdrückte. Es ist EINE Antwort, vielleicht nicht einmal die beste, vielleicht aber eine gute.·
Die Katechisten benahmen sich manchmal wie Schauspieler auf einer Bühne, indem sie versuchten zu zeigen, wie weit fortgeschritten sie schon waren, sie flüsterten miteinander, usw.·
Die Katechisten versuchten, den Kontakt mit den Zuhörern so gering wie möglich zu halten: Sie richteten den Saat 10 Minuten von Beginn des Abends her, dann verschwanden sie und kamen erst wieder, wenn die Zuhörer Platz genommen hatten. Nach dem Abend waren sie die ersten, die verschwanden. Ich gab ihnen im Geheimen den Namen "Die Unberührbaren".·
Ein Mitglied einer Gruppe erklärte mir, daß die Katechisten auf niemand hören durften als auf ihre Anführer (offenbar die Superkatechisten). Das widerspricht dem Evangelium, wo Jesus sagt: "Laßt euch nicht 'Meister' nennen, denn ihr habt nur einen Meister und ihr alle seid Brüder. Und nennt niemand auf Erden 'Vater', denn ihr habt euren Vater, der im Himmel ist. Noch sollt ihr euch 'Lehrer' nennen lassen, denn einer ist euer Lehrer, Christus." Auch der Heilige Paulus sagt irgendwo, daß wie einander ermahnen sollen.Sogar mit Kardinal Hume, dem ich vorige Woche begegnete, konnte man ein Gespräch führen, aber nicht mit den Katechisten.
Ich glaube, daß es keine gute Idee ist, neben der Hierarchie des Klerus eine Hierarchie der Laien aufzubauen.
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Lieder sind Geschmackssache. Aber daß es grundsätzlich keine Liedertexte gibt, ist eine Beleidigung für Gäste. Offenbar steckt das Bestreben dahinter, daß niemand mitsingen können sollte, der nicht genügend oft dabeigewesen ist.·
Ich glaube auch, daß Aussprüche wie "das werden Sie später erfahren" nicht die richtige Art ist, zu Erwachsenen zu sprechen. Du sagte übrigens kein Katechist, sondern ein Mitglied einer schon bestehenden Gruppe, nach einem Einführungsabend.·
Offensichtlich liegt zwischen Theorie und Praxis eine Kluft. Während die Katechisten Kreise an die Tafel malten und über Gemeinschaft sprachen, wachten sie sorgfältig darüber, daß die Stühle in geraden Reihen standen. Ich versuchte einmal, eine Stuhlreihe nur leicht zu krümmen, und sofort stürzte ein Katechist herbei und rückte sie wieder zurecht.·
Ein Grundsatz für Missionare lautet, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich befinden. Die Katechisten scheinen die Menschen dort abholen zu wollen, wo sie sich nach ihrer Ideologie zu befinden haben. Ich verstehe nicht, warum ich zuerst lernen sollte, den Tod zu fürchten, Geld zu lieben, usw., damit mich ein Katechist dann bekehren könnte. Ich freue mich auf den Tod als das Eintrittstor zum Himmel, und Geld hat für mich keine Bedeutung.·
Als die Katechisten am zweiten Einführungsabend alles nochmals wiederholten., dachte ich, es sei einiger neuer Zuhörer wegen. Als sie aber am dritten Abend abermals alles wiederholten, verstand ich, daß sich hier Gehirnwäsche abspielte.Ich arbeite seit vielen Jahren mit Vierzehnjährigen und helfe ihnen, sich auf die Firmung vorzubereiten. Wenn wir beginnen, sage ich zu ihnen :"Ich bin nicht euer Lehrer, ich bin auch nicht euer Führer. Ich bin ein Christ, gerade so einer wie ihr, nur etwas älter. Wir werden gemeinsam über unseren Glauben sprechen, und ich lerne vielleicht von euch ebensoviel wie ihr von mir lernen könnt."
Der Weg der Bekehrung ist für verschiedene Menschen nicht unbedingt der gleiche. Ich begann etwa im Alter von 14 Jahren zu glauben, zu einer Zeit, wo einen die Nazis bestrafen konnten, wenn man zur Kirche ging. Ich bekehrte mich immer wieder, vielleicht in kleineren Schritten als es die Katechisten darstellten. Ich hatte nicht das Problem, zuerst zu heiraten und Kinder zu haben und dann erst zu fragen: "Was kommt jetzt ?". Es war mir von Jugend an klar, daß der einzige Weg, wie ich mein Leben verstehen konnte, die Erfüllung des göttlichen Willens war. Ich weiß, daß ich von Vollkommenheit noch weit entfernt bin, und ich möchte mehr und mehr ein nützliches Werkzeug in Gottes Hand werden.
Ich schrieb dies alles nicht zu meiner eigenen Befriedigung. Ich glaube, daß der Geist mich dazu trieb. Ich erwarte mir auch nicht etwa eine Antwort wie "Es tut uns leid, Sie haben Recht". Ich mag mich in mancher Hinsicht irren. Ich möchte jedenfalls, daß alles, was ich hier geschrieben habe, dazu dient, daß Sie Ihren Auftrag besser ausführen können.
Sie haben natürlich auch viele guten Dinge gesagt, die zum gemeinsamen Schatz unserer Kirche gehören, und auch ich habe von Ihnen gelernt. Gott segne Sie alle.
Friedrich
(Original in englischer Sprache).